Warum ist Alkohol völlig normal, aber Gras immer noch stigmatisiert?

Veröffentlicht am 27. Februar 2025 um 23:07

Es gibt Dinge im Leben, die hinterfragt man einfach nicht – bis man es doch tut. So wie den Umstand, dass beim Samstags-Einkauf das Bier mindestens so selbstverständlich in den Einkaufswagen wanderte wie Brot und Milch. Nicht, weil am Abend eine wilde Feier anstand oder jemand eine harte Woche hatte. Nein, es gehörte einfach dazu. Wie ein ungeschriebenes Gesetz des Erwachsenseins.

Alkohol war nie etwas, das man groß erklären musste. Er war immer da. Ob beim geselligen Grillen, beim Familienessen oder dem längst ritualisierten Feierabendbier – eine Flasche in der Hand bedeutete nicht mehr als „Ich gehöre dazu“. Und ich will ehrlich sein: Ich habe diese Abende genossen. Ich war oft dabei, wenn aus einem harmlosen Bier ein weiterer Drink wurde und dann noch einer, bis irgendwann niemand mehr wusste, wessen Playlist gerade läuft.  Bis am Ende die Sonne langsam über dem Schrebergarten aufging, „Sky and Sand“ von Paul Kalkbrenner in Dauerschleife lief und man irgendwo zwischen Liegestühlen, halb geleerten Gläsern und einer auf mysteriöse Weise verschwundenen Grillzange saß – erschöpft, verkatert, aber voller nostalgischer Liebe für die letzten Stunden.

Wenn Alkohol die Party übernimmt und keiner merkt, dass es eine Entführung war

Wir kennen ihn alle, diesen einen Abend, der aus dem Ruder läuft. Er beginnt völlig harmlos. Ein Glas Wein, ein Bierchen, ein lockerer Einstieg. „Nur eins, ich hab morgen noch was vor.“ Zwei Stunden später hat man sich aber doch überreden lassen, es gibt Shots, irgendwer ruft „Nur noch einen letzten!“, was natürlich eine dreiste Lüge ist. 

Irgendwann kippt die Stimmung – nicht ins Negative, sondern in diese merkwürdige, enthemmte Euphorie, in der plötzlich alles möglich scheint. Einer schwenkt triumphierend eine Flasche, als hätte er gerade einen Marathon gewonnen, und irgendwo in der Ecke tauschen zwei Betrunkene Nummern aus, die sie morgen garantiert nie wieder verwenden werden. Irgendwer verliert einen Schuh, irgendwer anderes sein Gedächtnis.

Dann passiert es: Jemand gerät ins Straucheln, stolpert über eine Bordsteinkante und taumelt bedenklich – nur um sich im allerletzten Moment wieder zu fangen. Für einen kurzen Augenblick hält die Menge den Atem an, dann geht ein kollektives Raunen durch die Runde, als hätte man gerade Bigfoot gesichtet. Schließlich ruft jemand: „Das Gleichgewicht eines Gottes!“ – und damit ist das Thema offiziell durch.

Doch nicht jeder landet im Rampenlicht der Eskalation. Manch einer verabschiedet sich scheinbar frühzeitig mit den Worten: „Ich hau dann mal ab.“ Stunden später findet man ihn mit leerem Blick und ohne Jacke in einer Dönerbude wieder, als hätte ihn der Abend einfach irgendwo ausgespuckt. Der Klassiker folgt auf dem Fuß: „Boah, ich hab keine Ahnung, wie ich heimgekommen bin.“ Gesagt mit einer Mischung aus Stolz und leiser Beunruhigung, als wäre der Heimweg ein Mysterium, das nie gelöst werden wird.

Und dann gibt es noch die Spezies des plötzlich Verschollenen – den einen, der einfach verschwindet und erst am nächsten Morgen wieder auftaucht, oft an den unwahrscheinlichsten Orten. Die Couch? Verständlich. Die Badewanne? Passiert. Das Nachbargrundstück? Nun ja, man sollte froh sein, wenn es wenigstens das eigene Viertel ist.

Szenenwechsel. Gleiche Nacht, anderes Setting.

Statt eskalierender Trinkspiele beginnt der Abend mit einer ruhigen Selbstverständlichkeit. Jemand sitzt schon länger auf der Couch, ein anderer kommt gerade erst rein und rollt sich gemütlich seinen Joint. Ein dritter lehnt an der Tür, dreht noch in Ruhe seinen Filter. Niemand hat es eilig, niemand drängt sich auf, jeder macht es in seinem eigenen Tempo.

Während beim Alkohol irgendwann der Punkt kommt, an dem keiner mehr so genau weiß, was er da eigentlich redet, setzt sich hier die Unterhaltung mit einer ganz eigenen Dynamik fort. Mal tiefsinnig, mal albern, oft irgendwo dazwischen. Die Themen wechseln fließend, und es gibt diesen Moment, in dem eine Diskussion plötzlich stockt – weil keiner mehr weiß, worüber eigentlich gerade geredet wurde. Alle schauen sich fragend an, bis einer grinst und sagt: „Egal.“ Und das ist es dann auch. Niemand fühlt sich verpflichtet, den roten Faden wiederzufinden, weil sich sowieso gleich ein neues Thema ergibt.

Jemand packt Snacks aus, ein anderer sitzt da und guckt seine Chips-Tüte an, als wäre sie ein Rätsel der Quantenphysik. „Die haben die extra so gemacht, dass man die nicht aufkriegt.“ Alle nicken ernst, als wäre das eine gut belegte Verschwörungstheorie.

Ein anderer hat sein Handy in der Hand und murmelt: „Lass mal einen Film schauen.“ Alle stimmen zu, aber bevor es dazu kommt, müssen erst dreißig verschiedene Trailer geguckt werden, weil keiner weiß, worauf er gerade Lust hat. Es gibt hitzige Diskussionen, ob es was Lustiges, was Tiefsinniges oder doch einfach ein Klassiker sein soll – am Ende läuft dann gar kein Film. Irgendwann ist einfach Musik an, und alle sind zufrieden, während sich niemand mehr daran erinnern kann, welche Trailer sie eigentlich gesehen haben.

Das gesellschaftliche Paradoxon

Und doch: Während der alkoholgetränkte Abend am nächsten Tag mit einem Lächeln als „legendär“ erzählt wird, bleibt der mit Cannabis für viele ein fragwürdiges Thema.

Als wäre es völlig normal, sich in einen Zustand zu trinken, in dem ein Blackout dazugehört – aber wenn ich beim Kiffen vergesse, warum ich in die Küche gegangen bin, ist das plötzlich besorgniserregend.

Das ist das eigentlich Absurde: Alkohol wird gefeiert, trotz all seiner Eskalationspotenziale. Cannabis hingegen ist mit Stigma behaftet, weil es Menschen vermeintlich unmotiviert macht – dabei habe ich noch nie einen Kiffer erlebt, der um drei Uhr morgens einen Einkaufswagen durch die Stadt schiebt oder versucht, eine Ampel zum Kämpfen herauszufordern.

Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass beides bewusst konsumiert werden sollte – natürlich sollte es das. Aber wenn wir Alkohol und Cannabis nebeneinanderstellen, dann bitte ehrlich. Nicht mit veralteten Klischees und moralischer Doppelmoral, sondern mit einem echten Blick darauf, was diese beiden Substanzen wirklich tun.

Denn wenn ich die Wahl habe zwischen einem Abend, nach dem ich mit einem dumpfen Schädel aufwache, mich frage, warum meine Stimme weg ist und wieso mein Handy plötzlich auf Spanisch eingestellt ist – und einem Abend, an dem ich mich einfach gut fühle und mich noch an alles erinnern kann (außer vielleicht, warum ich in die Küche gegangen bin), dann ist die Entscheidung nicht besonders schwer.

Wir müssen anders damit umgehen – aber uns nicht verstecken.

Es ist falsch, dass Cannabis-Konsumenten sich immer noch verstecken müssen. Falsch, dass wir mit dummen Klischees abgestempelt werden, während Alkohol als harmloser Spaß durchgeht. Wir müssen lernen, anders damit umzugehen – offener, ehrlicher und ohne den ständigen Schatten von Stigma und Verurteilung.

Ja, Verantwortung gehört dazu. Natürlich. Aber Verantwortung bedeutet nicht, sich kleinzumachen. Es bedeutet, selbstbewusst für eine Realität einzustehen, die längst existiert. Also lasst uns darüber reden, ohne Angst, ohne Rechtfertigung – sondern mit dem Humor, der uns sowieso nie verloren geht. 😎🔥

Disclaimer:

Dieser Text stellt keine Konsumempfehlung dar. Jeder Mensch sollte für sich selbst reflektieren, welche Substanzen er konsumiert und sich der Risiken bewusst sein. Bewusster Umgang, Informiertheit und Verantwortung sollten immer an erster Stelle stehen – egal, ob es um Alkohol oder Cannabis geht.

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